Rede Frau Tanja Menz - 05.11.2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, dass ich heute bei dieser Gedenkstunden hier bei Ihnen sein darf und die Ehre habe ein paar Worte und Gedanken an Sie zu richten.
Wenn ich mir anschaue wer die Redner der vergangenen Jahren waren, dann wunder Sie sich bestimmt dass heute ich hier stehe - und wenn ich ehrlich bin,
dann tue ich das selbst auch ein wenig.
Ich bin keine hochrangige Politikerin, auch nicht eine wichtige Persönlichkeit in Uniform, und auch sonst nicht prominent - ich bin eine Frau mitten aus der Bevölkerung,
deren Sohn bei der Bundeswehr war, deren Sohn in Afghanistan gefallen ist.
Und deshalb wird meine Rede heute hier auch sicher persönlicher sein, als die Reden der letzten Jahre.
Und vielleicht muss ich mich Ihnen dazu erst ein wenig von mir erzählen.
Ich bin verheiratet, wir haben vier Kinder und leben 40 km nördlich von Stuttgart. Die nächsten Kaserne sind das Landeskommando in Stuttgart und die Kaserne in Calw.
Menschen in Bundeswehr Uniform begegneten mir den größten Teil meines Lebens kaum.
Ich habe keine Brüder, mein Mann hat wegen eines schwereren Skiunfalls kurz vor seiner Musterung keinen Wehrdienst geleistet.
Mein Vater war Major der Reserve- in Uniform habe ich ihn jedoch nie gesehen.
Unsere Kinder waren alle recht sportlich , machten Judo als Wettkampfsport, waren immer sehr hilfsbereit und haben sich schon früh für andere Länder und Politik interessiert.
2009 hatte unser ältester Sohn Konstantin seinen Schulabschluss gemacht, Er wusste noch nicht so genau was er danach machen wollte. Ein Studium oder eine technische Lehre?
Er begann erst einmal ein Praktikum und in dieser Zeit kam die die Aufforderung zur Musterung.
Wenn Sie mich damals gefragt hätten ob er sich wohl für den Wehrdienst oder den Zivildienst entscheidet, wäre mir eine Antwort schwer gefallen.
Für ihn stand aber sehr schnell fest. „Ich gehe zur Bundeswehr“
Und so begann er seinen Grundwehrdienst im bitterkalten Januar im Oberviechtach im bayrischen Wald.
Drei Wochen später kam er am Wochenende nachhause, ich hatte eigentlich vermutet dass er sich über die Kälte ( besonders Nachts wenn sie draußen waren) und
das einfache Leben in einer Stube mit mehreren Kameraden beklagen würde. Ich hatte vermutet, dass das Leben als Soldat, so wie ich es mir vorstellte, nicht wirklich zu ihm passen würde.
Aber von der Bundeswehr und dem Soldat sein hatte ich damals eindeutig keine Ahnung!
Er war verändert, erwachsener und selbstbewusster geworden, es war spürbar dass er angekommen war, angekommen in einem Beruf und einer Gemeinschaft die genau zu ihm passte.
Er erzählte viel von seinen Kameraden.
Schnell wurde klar dass er sich länger verpflichten wollte. Das war 2009, es war recht sicher dass dann ein Auslandseinsatz ,vermutlich in Afghanistan, anstehen könnte.
Da ist man als Mutter nicht nur begeistert aber gleichzeitig freute ich mich dass er etwas gefunden hatte wofür er brannte.
Über Altenstadt kam Konstantin dann nach Regen zu den Panzergrenadieren in den bayrischen Wald.
2010 stand fest dass er im Herbst mit seinen Kameraden nach Afghanistan gehen wird. 2010- ein Jahr in dem man von Gefechten, Verletzten und Toten hörte und sich die Politik endlich
traute von kriegsähnlichen Zuständen zu sprechen.
Natürlich haben wir über Gefahren und Ängste geredet, aber wir wollten ihn mit unseren Sorgen nicht unnötig belasten.
Im Oktober 2010 verabschiedeten wir uns. Konstantin wurde am OP North eingesetzt, das Leben dort war gefährlich und sehr einfach, die Kommunikation war nicht immer problemlos möglich,
aber wir telefonierten , wenn möglich, am Wochenende. Er erzählte nicht sehr viel, fragte mehr nach uns. Aber wir hatten das Gefühl das er mit der Einsatzrealität gut klar kam.
Nur manchmal, wenn er plötzlich mitten unter der Woche anrief nur um zu sagen dass es ihm gut geht, bekamen wir eine Ahnung davon dass er vermutlich in den vergangen Tagen draußen
gewesen war und dass es nicht immer ungefährlich war.
Und dann kam der 18. Februar 2011
Der Tag fing an wie ein ganz normaler Tag .
Erst auf dem Heimweg vom Büro hörte ich im Radio einen ausführlichen Bericht über die Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers, und kurz in einem Nebensatz
von einem Anschlag in Afghanistan bei dem ein 30 jähriger Soldat getötet worden war. Konstantin war 22 und ich atmete auf.
Ich war noch nicht lange zuhause als es an der Tür klingelte, ich öffnete und als ich sah wer dort stand- ein Offizier und ein Militärseelsorger- mussten sie nicht viel sagen, ich wusste was passiert war.
Natürlich wollte ich genaueres erfahren, sie konnten zu dem Zeitpunkt auch noch nicht viel berichten - aber sie waren da, und das machte es schon erträglicher...ich war nicht alleine!
Ich warte also mit diesen mir fremden Menschen gemeinsam darauf dass mein Mann aus dem Büro zurück kommt und meine Kinder vom Training, ich öffnete ihnen selbst die Tür und sprach aus was geschehen war.
So teilt dieser Tag mein Leben bis heute in eine Zeit vor dem 18.2.2011 und eine Zeit danach.
Nicht nur weil unser Sohn an diesem Tag gestorben ist, sondern auch weil er mein Leben in eine Zeit recht fern der Bundeswehr und eine mit der Bundeswehr teilt.
Schon am nächsten Tag zog ein junger Offizier aus Regen in ein Hotel in unserer Nähe und war von diesem Moment an für uns da- für alle Fragen die wir hatten, für die Hilfe bei der
Organisation der Trauerfeier und Beerdigung, er koordinierte die vielen Menschen die uns besuchen wollten…
Die Unterstützung die wir in den 10 Tagen bis zur Beerdigung bekamen war unglaublich,
Wir hatten Glück im Unglück,
Glück dass Konstantin so tolle Kameraden hatte, wunderbare Vorgesetzte, einen Kommandeur der ganz spontan entschied dafür zu sorgen dass wir 3 Familien der bei dem Anschlag
Verstorbenen uns schnell kennenlernen sollten, der uns einlud in die Kaserne, der uns Panzer fahren lies und wir so einen Teil des Lebens unserer Kinder nachfühlen durften.
In dieser Zeit lernten wir Bundeswehr Kameradschaft kennen - und ich glaube sie hat uns gerettet und über die erste so schwere Zeit getragen.
Nach einem Jahr luden wir 3 Familien- unsere Freundschaft besteht bis heute- alle Kameraden der Kompanie unserer Söhne zu einem Wochenende auf eine Hütte ein.
Es war ein unvergesslicher Abend, eine lange Nacht mit vielen Gesprächen, Fotos, Tränen und Lachen. Und wir dachten damals „das war ein einmaliges Erlebnis“.
Es ist noch keine 2 Wochen her, dass ich zum 14. mal auf genau dieser der Hütte war.
Und wieder war es ein besonderer Abend. Ein Freund und Kamerad unseres Sohnes war nämlich zum ersten mal dabei. Er hatte uns damals mehrfach besucht, aber dann haben
wir ihn 12 Jahre nicht mehr gesehen. Erst jetzt hat er es geschafft zu unserem Kreis dazu zu kommen, noch immer geht es ihm nicht gut, er leider an den Erinnerungen an diesen Anschlag.
Er war 1600 Tage in Afghanistan im Einsatz und diese Zeit ist nicht spurlos an ihm vorbei gegangen. Um so schöner war es dass er dieses Mal die Kraft gefunden hatte dabei zu sein.
Erst vor 2 Jahren erzählte mir ein anderer Kamerad dass er noch heute vom Anschlag träumt, er war Ersthelfer und spürt im Traum noch immer das Blut an seinen Händen - es dauerte Jahre bis er darüber sprechen konnte.
Heute können wir uns in solchen Momenten gegenseitig stützen.
Denn Trauer lässt sich nur gemeinsam verarbeiten.
Die Kameraden hatten es teilweise ungleich schwerer. Von ihnen wurde erwartet dass sie uns unterstützen, und das haben sie getan, aber für sie selbst gab es damals noch nicht ausreichend Hilfe.
Hier hat Bundeswehr zum Glück viel gelernt.
Denn auch diese Kameraden sind Hinterbliebene, sie haben Angehörige ihrer Bundeswehr-Familie verloren.
Für Alle Hinterbliebene, egal ob Familien, Freunde oder Kameraden sind Gedenkveranstaltung wie diese heute ganz wichtig.
Denn Trauer wird nie ganz vergehen, dass muss sie auch nicht, dazu müssten wir vergessen, und das wollen wir nicht.
Trauer muss sich nur verändern. Ich kann sagen dass ich ein gutes und glückliches Leben führe - mit meiner Trauer , vielleicht auch wegen meiner Trauer denn durch sie habe ich
gelernt die schönen Momente des Lebens noch viel bewusster wahrzunehmen.
Das mir das gelungen ist- dazu haben Sie beigetragen- auch mit Veranstaltungen wie dieser.
Denn es ist unglaublich wichtig zu wissen dass die Verstorbenen nicht vergessen werden.
Die Orte an denen Bundeswehr heutzutage gedenkt sind sehr unterschiedlich.
Hier das Ehrenmal des Heeres in Koblenz, in Berlin das Ehrenmal der Bundeswehr am Bendlerblock oder der Wald der Erinnerung in Potsdam - diese Orte sind so vielfältig und völlig
unterschiedlich in ihrer Symbolik, aber der Kern, das Herz all dieser Orte zeigt das selbe.
Sie zeigen uns „Keiner wird vergessen, und keiner ist alleine!“
Kameradschaft bei der Bundeswehr bedeutet nicht- (das habe ich inzwischen gelernt) Freunde sein in guten Zeiten - Kameradschaft bedeutet da zu sein, in jeder Situation,
für immer - auch über den Tod hinaus. Und auch wir Familien werden in diese besondere Kameradschaft einbezogen.
Das zu wissen und zu spüren tut unglaublich gut – damals, in der ersten schweren Zeit, heute und in Zukunft.
Gäbe es einen Preis für Hinterbliebenen Betreuung und gelebte Gedenkkultur- sie alle hätten ihn verdient!
Ich bin in Zeiten aufgewachsen in denen wir hofften, Krieg wird es in Europa nicht mehr geben. Diese Zeiten sind leider Vergangenheit.
Wir alle wissen nicht genau wie sich der Angriff Russlands auf die Ukraine weiter entwickeln wird, wir müssen heute wieder nachdenken über Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit,
das Wort Kriegstüchtigkeit ist in aller Munde.
Sie haben einen Eid geschworen und sind bereit uns und unser Bündnis im Ernstfall zu verteidigen.
Dafür brauchen sie nicht nur die bestmögliche Ausrüstung, sondern Sie brauchen sich gegenseitigen, die bestmögliche Kameradschaft - nur so ist eine Krise zu bewältigen.
Wir alle hoffen dass Sie ihre Verteidigungsfähigkeiten nicht zeigen müssen, sondern dass ihre abschreckende Wirkung ausreicht
Sie waren als Kameraden immer an unserer Seite wenn wir sie brauchten. Ein viel zu großer Teil der Bevölkerung war lange Zeit nicht an Ihrer Seite.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wann immer Sie uns Zivilbevölkerung brauchen, wir schnell genug lernen wie es geht ein guter Kamerad auch für Sie alle zu sein.
Ich danke Ihnen für ihre Kameradschaft uns und besonders den Verstorbenen gegenüber an die wir heute denken. Ich danke ihnen fürs nicht vergessen, fürs Gedenken und Erinnern.
So bleiben die Verstorbenen ein Teil der Gemeinschaft und leben in uns weiter.
Danke dass Sie sich für Momente wie diesen, immer Zeit nehmen.
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