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Rede Generalleutnant Alfons Mais

Basilika St. Kastor


Rede des Inspekteur des Heeres, GenLt Alfons Mais, zum
Volkstrauertag 2023 am 19.11.2023 in Koblenz

-Es zählt das gesprochene Wort.-

Sehr geehrter Herr Minister Ebling,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister
Langner, verehrte Damen und Herren,

als aktiver Soldat an diesem Tag des Gedenkens an die Opfer von Krieg,
Gewaltherrschaft und Terror hier in meiner Heimatstadt zu Ihnen allen
sprechen zu dürfen, empfinde ich als außerordentliches Privileg.

Der Volkstrauertag ist ein staatliches Gedenken! So übernehmen heute
bei den meisten Gedenkveranstaltungen Mandatsträgerinnen und
Mandatsträger aller Ebenen, Vertreterinnen und Vertreter der Exekutive
und ehrenamtlich tätige Mitbürgerinnen und Mitbürger das Wort.
Auch in der Erinnerungskultur gilt richtigerweise das Primat der Politik. Sie
ist es, die im Zweifelsfall auch über Krieg und Frieden entscheidet.
Eine Ansprache über Tod, Trauer und Gedenken ist für einen Soldaten im
42. Dienstjahr nicht von seinen persönlichen Erfahrungen und
Betroffenheiten zu trennen. Dafür bitte ich vorab um Nachsicht.
Lassen Sie mich meinen Dank für Ihre Einladung ganz an den Anfang
stellen. Für mich ist sie ein Zeichen Ihres Vertrauens in die Bundeswehr
als Streitkraft unseres demokratischen Staates. Aber auch ein Zeichen der
besonderen Zeit, die wir gerade erleben! Einer Zeit, in der wir erneut
lernen müssen,
- dass der Krieg als Mittel der Politik nach Europa zurückgekehrt ist.
- Was es heißt, sich selbst und seine Verbündeten zu schützen?
- Welche Last uns die Logik der Abschreckung eines Aggressors als Gesellschaft auferlegt!
- Dass Frieden und Freiheit auch in Europa nicht garantiert sind!

Niemand liebt den Frieden vermutlich mehr als Soldaten, die den Krieg
gesehen haben! Der Volkstrauertag, als unmittelbare Folge des Ersten
Weltkriegs, hält uns bis heute alljährlich die Fratze des Krieges, - Tod, Leid
und Zerstörung- vor Augen und mahnt uns alles zu tun, den Frieden zu
erhalten.
Soldatinnen und Soldaten haben berufsbedingt einen eigenen Blick auf
Krieg, Tod und Verwundung. Trauer und Gedenken sind für uns keine
punktuellen Ereignisse. Unser Gedenken trägt über das ganze Jahr, in
dem wir zB an die einzelnen Tage erinnern, an denen wir Kameraden
verloren haben. Unter dem Motto „Das Heer vergisst nicht“ ehren wir
unsere Toten und erinnern an sie an vielen Orten und zu vielen
Gelegenheiten.
Die Beschäftigung mit der ultima ratio des eigenen Berufs ist eine ständige
Herausforderung, mit der wir uns aktiv auseinandersetzen müssen. Der
Umgang mit Tod und Verwundung ist Teil unserer Ausbildung und
Erziehung. Unsere Militärgeistlichen und das sogenannte psychosoziale
Netzwerk unterstützen uns dabei.
Wir betreuen Angehörige, die einen geliebten Menschen verloren haben.
Und: Wir setzen alles daran, unseren Soldatinnen und Soldaten mental
und materiell alles mitzugeben, damit es nicht dazu kommt.
Aber Tod und Verwundung lassen sich nicht ausschließen. Sie begleiten
uns, weil wir im Auftrag unseres Staates darauf eingestellt sind, dorthin
gehen, wo Krieg und Gewalt herrschen.

Bei der jährlichen Feierstunde am Ehrenmal des Heeres auf dem
Ehrenbreitstein und am Volkstrauertag verschmelzen unser Gedenken
und das kollektive Gedenken des Staates und der Gesellschaft. Das
macht diesen Tag für uns so besonders, aber auch aktuell.
Nach dem Fall der Mauer, nach dem Sieg von Freiheit und Frieden im
Kalten Krieg haben wir in dem bequemen Glauben leben können, dass ein
heißer Krieg in Europa undenkbar ist.
Für Politik, Gesellschaft und Streitkräfte waren Einsätze im Internationalen
Krisenmanagement zum Alltag geworden. Unsere Bundeswehr, das Heer,
wurde ausschließlich darauf und insbesondere den Einsatz in
Afghanistan, ausgerichtet. Die 20 Jahre dort waren der forderndste und
prägendste Einsatz der Bundeswehr. Und es wird noch eine ganze Weile
dauern, bis wir diesen Teil der 68jährigen Geschichte unserer Streitkräfte
aufgearbeitet und seine Folgen überwunden haben.
Wenn ich an meine zwei Einsätze und fast eineinhalb Jahre in Afghanistan
zurückdenke, sind meine Erinnerungen vor allem geprägt von
Kameradschaft und Zusammenhalt zwischen Verbündeten einerseits und
der Opferbereitschaft unserer afghanischen Partner für ihr zerrissenes,
bitterarmes Land andererseits.
Tod und Verwundung, waren noch bei meinem letzten Einsatz dort in 2018
und 2019 allgegenwärtig. Die wiederkehrenden Bilder in meinem Kopf aus
dieser Zeit, sind Zinksärge mit amerikanischen und tschechischen
Flaggen, denen wir in Bagram das letzte Geleit gaben.Im Angesicht des
Todes stellt sich immer wieder die Frage nach dem Sinn. Wofür starben
die jungen Männer, Söhne, Väter, Brüder?
Deutsche Soldaten schwören, das Recht und die Freiheit des deutschen
Volkes tapfer zu verteidigen. Wenn diese Tapferkeit zu Tod und
Verwundung führt, müssen Sinn, Ziel und Notwendigkeit des Einsatzes
militärischer Mittel besonders gut erklärt werden. Gegenüber den
Soldaten, aber auch gegenüber der Gesellschaft, aus deren Mitte die
Frauen und Männer kommen.
Es ist Aufgabe aller Entscheidungsträger und letztlich der Politik
insgesamt, diese Sinnstiftung und damit auch letztlich den Rückhalt in der
Gesellschaft für die eingesetzte Truppe zu erzeugen. Neben dieser
ideellen Verpflichtung besteht die Verantwortung auch darin, die
materiellen Voraussetzungen zu schaffen, dass unsere Frauen und
Männer ihren Auftrag erfüllen und so unbeschadet wie möglich in die
Heimat zurückkehren können.
Dies ist die Aufgabe des Parlaments gegenüber der Parlamentsarmee
Bundeswehr. Die Bundestags-präsidentin Bärbel Bas hat den Dt.
Bundestag in ihrer Gelöbnisrede am 12. November 2021 vor dem
Reichstag gegenüber den angetretenen Soldaten mit den folgenden
Worten in die Pflicht genommen: „Wir, die Abgeordneten, sichern Ihre
Arbeitsbedingungen, damit Sie dem Frieden der Welt dienen können.
Denn: Wer den Frieden will, muss für den Frieden gerüstet sein.“
Ideelle und materielle Voraussetzungen bilden die Basis dafür, dass
Soldatinnen und Soldaten tapfer sein können. Tapferkeit bleibt zentral für
soldatisches Handeln.
Ich habe in Afghanistan neben Tod und Verwundung auch Tapferkeit
erleben dürfen. Wenn Sie mich in meinem Kommando in Strausberg
besuchen wollen, kommen Sie unweigerlich an zwei großen Tafeln vorbei.
Auf der einen lesen Sie die Namen aller Heeressoldaten der Bw, die im
Einsatz ums Leben gekommen sind. Auf der anderen die Namen der 30
Kameraden, die für besondere Tapferkeit ausgezeichnet wurden. Vier von
Ihnen wurde die Ehrung posthum verliehen. Sie bewiesen unter anderem
große Tapferkeit, bei dem Versuch, ihre Kameraden zu schützen.

Wir sind überzeugt, dass man die Last und die Verantwortung, die ein
demokratischer Staat seinen Streitkräften auferlegt nicht besser
dokumentieren kann. Aber wer weiß überhaupt, dass es in Deutschland
seit 14 Jahren wieder ein Ehrenzeichen für Tapferkeit gibt? Gestiftet durch
Bundespräsident Horst Köhler! Wer kennt auch nur einen dieser 30
Namen?
In den „kriegsähnlichen Zuständen“ des Afghanistan Einsatzes verloren
59 Kameraden ihr Leben. 35 von ihnen fielen durch Feindeinwirkung.
Ihnen und auch den 57 weiteren Kameraden, die seit 1992 in mandatierten
Einsätzen für die Bundesrepublik Deutschland von Kambodscha über den
Balkan, den Irak bis Mali ihr Leben verloren, sowie ihren Familien und
Freunden gilt heute mein besonderes persönliches Gedenken.
Gleichzeitig denke ich an die vielen, die an Körper und Seele schwer
verwundet heimgekehrt sind. Perikles wird der Satz zugeschrieben, „Die
Kultur eines Volkes erkennt man daran, wie er mit seinen Toten umgeht!“
Ich möchte dieses Postulat bewusst auf den Umgang mit Versehrten und
Verwundeten, an Leib und Seele, erweitern. Dabei schließe ich
ausdrücklich unsere Kameradinnen und Kameraden von Polizei und
Feuerwehr mit ein.
Um sie alle zu würdigen, wurde dieses Jahr mit den Invictus Games in
Düsseldorf ein Zeichen gesetzt, das Mut macht. Denn: Wir stehen auch
gegenüber den Überlebenden, die einen hohen Preis für unsere Sicherheit
bezahlen, in der Pflicht. Keiner darf zurück oder allein gelassen werden.
Auf dieser Idee setzt die aktuelle Idee eines Veteranentags auf, für den
ich hier und heute um Ihre Unterstützung werben möchte.
Dass „Wachsamkeit der Preis der Freiheit ist“ hat uns der 24. Februar
2022 eindringlich vor Augen geführt. Tod und Zerstörung brechen sich
seitdem in Europa erneut völkerrechtswidrig und in aller Brutalität Bahn.

Schlagworte von Resilienz über Wehrhaftigkeit und Verteidigungsfähigkeit
bis Kriegstüchtigkeit gewinnen Raum im öffentlichen Bewusstsein. Für
unsere pazifistische, postheroische Gesellschaft ist es ein weiter, steiniger
Weg nach der ungeliebten Verteidigung unserer Sicherheit am
Hindukusch, sich heute wieder auf die Konsequenzen einer denkbaren
existentiellen Bedrohung des eigenen Landes einzulassen.
Seit 634 Tagen herrscht Krieg in Europa. Seit 634 Tagen leben wir in einer
Zeitenwende. Seit 634 Tagen sind vertraute Gewissheiten der
internationalen Ordnung auf unabsehbare Zeit in Frage gestellt. Dieser
Realität und den daraus erwachsenden Konsequenzen müssen wir uns
stellen. Trotz der Hoffnung, dass uns Krieg für immer erspart bleiben
möge, wäre alles andere verantwortungslos.
Auch gesellschaftliche Resilienz ist dabei ein Teil der Abschreckung.
Vorbereitet zu sein unterstreicht, dass wir #unsere Art zu leben, #unsere
freiheitlich-demokratische Grundordnung, #unsere Mitverantwortung für
die Sicherheit in Europa #und unseren Staat, der aus den Urkatastrophen
des 20. Jahrhunderts entstanden ist, Wert schätzen, respektieren oder gar
lieben. Und zwar in einem Maße, dass wir bereit sind ihn zu verteidigen.
Mit Wort und Tat! Gegen jede Art von Bedrohung, von innen und außen!
Wir hier in Deutschland haben aus unserer Geschichte gelernt und Tage,
wie der Volkstrauertag helfen uns dabei diese Lehren zu erhalten. Ob wir
uns gegen einen Aggressor von außen verteidigen müssen, suchen wir
uns nicht aus, es wird uns aber möglicherweise aufgezwungen. Es ist
daher zentral, sich mit diesem Gedanken wieder auseinanderzusetzen.
101 Jahre sind seit dem 5. März 1922, nach der Einführung des
Volkstrauertages als Mahnmal und Tag des Andenkens an die Gefallenen
des Ersten Weltkrieges, vergangen. Und wir sehen der Realität des
Krieges in unserer unmittelbaren Nachbarschaft erneut ins Auge.

Der Angriff auf die Ukraine bricht kalkuliert Völkerrecht und greift unsere
vertraute Sicherheitsarchitektur gezielt an. Der Krieg gegen die Ukraine ist
ein Vernichtungskrieg. Ein Staat soll ausgelöscht werden. Es ist ein Krieg
Russlands gegen die Wertvorstellungen und das Lebensmodel des
Westens. Es ist ein indirekter Krieg gegen uns! Und deshalb stehen wir an
der Seite der Ukraine und werden sie weiter unterstützen, „as long as it
takes“, wie es unser Verteidigungsminister gesagt hat.
Mit Horror eröffnet sich uns in diesem Krieg ein Blick in die Natur des
Menschen, und wir sehen Handlungsmuster, die wir für den europäischen
Kontinent ausgeschlossen glaubten. Der Hass der Angreifer brach sich an
Orten wie Butscha und Borodjanka Bahn. Männer, Frauen und Kinder
wurden auf offener Straße niedergestreckt, weil sie in Frieden und
Freiheit, weil sie nach unseren westlichen Werten leben wollten. Heute
gedenken wir auch dieser Menschen, die sterben mussten, weil sie
anderen in der Entfaltung ihrer Machtvorstellungen im Weg standen.
Das macht uns betroffen! Und vermutlich macht es uns Deutsche
besonders betroffen! Unsere Geschichte lässt uns nicht los, sie
manifestiert eine besondere Verantwortung! So erinnern wir heute auch in
ungebrochener Trauer an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors.
Wir erinnern an die unzähligen Verfolgten und Ermordeten. Wir erinnern
an den Holocaust, an über 6 Millionen ermordete Jüdinnen und Juden, an
die ermordeten Sinti und Roma, an die Menschen, die aufgrund religiöser
Überzeugungen, sexueller Orientierung oder körperlicher, seelischer
Einschränkungen als unwert verfolgt und umgebracht wurden. Dies darf
nie wieder geschehen.


Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gerade Kriegsverbrechen
lassen sich nur verhindern, wenn sich alle Menschen, aber ganz
besonders Soldatinnen und Soldaten, dem Schutz der Würde des
Menschen verpflichtet sehen. In der Bundeswehr haben wir dazu das
Konzept der „Inneren Führung“ verinnerlicht und erziehen unsere Frauen
und Männer entlang eines ethischen Kompasses, der klar auf den Respekt
jedes Individuums und auf den Schutz des Lebens ausgerichtet ist. Die
Innere Führung ist als Lehre aus den Verbrechen der
nationalsozialistischen Diktatur entstanden. Sie ist heute unser internes
Bollwerk gegen die Barbarei. Sie kann aber nur auf dem aufbauen, was
unsere jungen Frauen und Männer in ihrer Jugend erlernt haben. Die
innere Haltung eines jeden Bürgers zur Verteidigung unserer Werte bildet
in Summe die Stärke unseres Gemeinwesens.
So mahnt der Volkstrauertag uns alle, unseren persönlichen, individuellen
Beitrag für diese Gemeinschaft nicht zu vernachlässigen und dort mit aller
Konsequenz und Klarheit aufzustehen, wo unsere Werte bedroht sind. In
unseren Streitkräften, wie in unserer Gesellschaft, ist kein Platz für Hass,
Hetze, Diskriminierung, Intoleranz und Antisemitismus. Deswegen
bekennen wir uns klar zu Israel, das brutal durch ein Terrorregime
angegriffen wurde, welches sich nicht nur der Vernichtung des Staates
Israel, sondern auch der Auslöschung seiner Bürger verschrieben hat.
Ein Hamas - Regime, das über Wahlen an die Macht gelangte, danach
gewaltsam die politische Konkurrenz ausschaltete und seitdem die eigene
Bevölkerung im Alptraum einer mörderischen Ideologie gefangen hält.
Das erinnert manchen auch an den Beginn der dunkelsten Periode
Deutschlands im 20.Jahrhundert und mündet für uns alle im „Nie wieder“
einer kollektiven Verpflichtung für die Sicherheit Israels.
Unsere Gedanken sind heute bei allen Opfern dieses blutigen Konfliktes
und insbesondere bei den über 200 Geiseln in der Hand von Terroristen.
Ihr Leiden und die Sorgen und Ängste ihrer Angehörigen liegen angesichts
der Gräueltaten vom 07. Oktober außerhalb unseres
Vorstellungsvermögens!

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir sind heute hier versammelt und bekräftigen gemeinsam unser
Bekenntnis zum Frieden, im Angesicht der Gefallenen, Gestorbenen und
Ermordeten. Möge Ihr Opfer uns allzeit mahnen, unseren Pflichten
gegenüber unserem Land, unserer Demokratie, unserer Gemeinschaft
und gegenüber dem Frieden in der Welt weiterhin mit aller Kraft
nachzukommen.

Vielen Dank.


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Erstellt von: system letzte Änderung: Mittwoch, 29. November 2023 [16:12:20] von btheus