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Gedenkansprache „Totengedenken“

Klaus von Dohnanyi

Bundesminister a.D., Erster Bürgermeister a.D. (Freie und Hansestadt Hamburg)

am 22.11.2012 in Koblenz


General Kasdorf,
General Budde,
Soldatinnen und Soldaten,
meine Damen und Herren,

Wie in jedem Jahr, wenn der Herbst die Blätter fallen lässt, die Tage kurz und die Abende lang werden, gedenken wir in Deutschland der Toten. Zunächst derer, die uns noch nahe sind; der Toten, die uns erst kürzlich verlassen haben: Für die Älteren unter uns sind es die Eltern, doch für viele Jüngere dann auch die Großeltern oder gar Urgroßeltern, die sie noch erlebt haben. Am innigsten ist unser Gedenken immer, wenn wir die Toten noch gekannt haben und sie vermissen, weil sie durch ihr Leben ein Stück unseres Lebens geworden sind. Weil ihr Tod eine Lücke in unser Selbst gerissen hat; eine Lücke, die wir niemals schließen können. Die Zeit, das ist richtig, heilt die Schmerzen, aber auch sie kann nicht ausfüllen, was uns fehlt.

Wenn Soldaten toter Kameraden gedenken, dann hat das eine besondere Seite. Heer, Luftwaffe und Marine, sie bilden eine Gemeinschaft besonderer Art. Nicht so wie in einer Familie, wo man sich kennt und der Tod eines nahen Verwandten den Zurückgebliebenen einen Blick, eine vertraute Stimme, eine gewohnte Umarmung genommen hat. Es ist eine andere Gemeinschaft, die der Soldaten. Denn die gefallenen Kameraden hat der einzelne Soldat meist nicht persönlich gekannt. Aber Soldaten wissen dennoch um ihre Gemeinschaft, um gemeinsame Aufgaben und Gefahren, durch die sie verbunden sind mit den anderen Soldaten. Auch wenn sie wiederum die Kameraden oder Kameradin im Heer, in der Luftwaffe, in der Marine niemals selbst gesehen oder gesprochen haben.

So gibt es immer ein gemeinsames Gedenken der Toten und heute lenkt dieses unseren Blick nicht nur auf die Gefallenen und Verwundeten der beiden großen europäischen Kriege des vergangenen Jahrhunderts. Immer wieder haben wir auch in diesem neuen Jahrhundert die Särge gefallener Kameraden aus den Kampfplätzen in Afghanistan in unser Land zurückkehren sehen, bedeckt mit der ehrenvollen Fahne in den deutschen Farben. Der Krieg ist zwar weiter weggerückt von unseren Landen, aber die Welt ist nicht friedlicher geworden, wie wir heute erneut an den revolutionären Auseinandersetzungen in der arabischen Welt erfahren. Und so gilt unser Gedenken in dieser Stunde zu allererst denjenigen Soldaten die im Einsatz in Afghanistan für den Frieden auch in Deutschland gefallen sind oder verwundet wurden. Unsere Gedanken gelten ihren Familien, Kameraden und Freunden, die ihren Schmerz noch bis in unsere Stunde heute spüren.

Schwerer ist es für unsere Gesellschaft heute, die wir so lange im Frieden gelebt haben und so wenige direkte Bedrohungen von äußeren Feinden erkennen, sich heute Aufgabe und Opferbereitschaft der Soldaten und Soldatinnen in unserer Zeit klar zu machen. Doch es gibt keinen Frieden ohne die Bereitschaft sich im Ernstfall gegen fremde Gewalt zu verteidigen. Die Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr haben diese Aufgabe heute für uns alle übernommen. Es liegt bei uns dafür Dankbarkeit und Respekt zu zeigen. Und so ist auch heute dieser Gedenktag ein Tag des Dankes an all diejenigen, die sich der harten und gefährlichen Gemeinschaft der Bundeswehr zur Verfügung gestellt haben. Dank auch dafür, dass diese Bundeswehr immer bereitsteht, um in anderen, nicht kriegerischen Situationen für unsere Sicherheit zu sorgen; Flutkatastrophen, zum Beispiel, sind uns in Erinnerung.

Schwerer fällt es uns heute ein wirklich innerliches Gedenken für die Millionen gefallener Soldaten der beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts zu fühlen. Es sind ja kaum noch zwei Jahre, dann jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges, dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts wie George Kennan es einst formulierte, zum hundertsten Mal. Und es wird nur ein weiteres Jahr dauern, bis das Ende des Zweiten Weltkrieges schon 70 Jahre, ein ganzes Menschenalter also, zurückliegen wird. Diese beiden Kriege sind Geschichte, auch der letzte überlebende Teilnehmer des Ersten Weltkrieges ist – wie wir kürzlich erfahren haben – nun gestorben: warum also noch immer dieses Gedenken, diese Erinnerung, diese gemeinsame Stunde der Besinnung?

Es ist, weil zwar viele Jahrzehnte vergangen sind, Jahrzehnte tiefer Einschnitte und dramatischer Veränderungen, aber die Nation, Deutschland, unser Vaterland ist geblieben, hatte Bestand. Doch weil auch große Umbrüche stattfanden in diesem vergangenen Jahrhundert, weil der Zweite Weltkrieg nicht nur von Deutschland vom Zaun gebrochen wurde, sondern auch von so unvorstellbaren deutschen Verbrechen begleitet war, fällt es der Öffentlichkeit heute schwer, dennoch der Tapferkeit und des Mutes der toten Soldaten auch dieses Zweiten Weltkrieges in Ehren zu gedenken.

Ich möchte Ihnen aber hier heute sagen, dass solche Bedenken unbegründet sind. Denn die weitaus größte Zahl der deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges war genauso ehrenhaft, genauso tapfer und genauso pflichtbewusst wie die Soldaten Polens, Frankreich, Englands, Russlands oder der USA, und aller anderen kriegsteilnehmenden Nationen. Männer und Frauen wurden damals eingezogen, die damalige deutsche Regierung bestrafte Kriegsdienstverweigerer mit dem Tode. Im Krieg selbst, an der Front, standen dann alle Soldaten wiederum in der Pflicht der Kameradschaft und schließlich hatten sie auch das Gefühl, ihr Vaterland vor dem Eindringen der Kriegsgegner schützen zu sollen.

Niemand wird heute bestreiten, dass es keine gerechte Sache war, für die das Deutsche Reich 1939 den Krieg begann; und niemand wird auch die in diesem Krieg begangenen Verbrechen leugnen. Aber macht das den Einsatz, macht das die Opfer und die Leiden des einzelnen Soldaten geringer? War es nicht oft so in der Geschichte, dass Soldaten von ihrer politischen Obrigkeit auch für eine ungerechte Sache in Krieg, Verwundung und Tod geschickt wurden? Und ehren wir diese Soldaten nicht dennoch?

Auch die deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges verdienen ein ehrendes Gedenken. Wir verneigen uns heute vor all denjenigen, die im guten Glauben an ihre Pflichten und Aufgaben während dieses Krieges ihr Leben oder ihre Gesundheit als tapfere Soldaten Deutschlands verloren haben. Und wir verneigen uns vor denen, die den Tod durch die Naziregierung erlitten, weil sie sich diesem ungerechten Krieg entziehen wollten oder gar als Widerstandskämpfer versuchten, wie die Offiziere des 20. Juli, dem Krieg ein Ende zu machen.

Was für die Soldaten des Zweiten Weltkrieges gilt, das gilt auch für die des Ersten Weltkrieges. Deutschland hatte diesen nicht allein begonnen, wie wir heute wissen. Die deutschen Heere waren auch nicht aggressiver als die der Gegner; auch unser Land verteidigte sich in dieser „Urkatastrophe“, in die alle europäischen Großmächte gleich leichtfertig und gleich schuldig hineingeschlittert waren.

Und so gedenken wir heute auch dieser toten Soldaten in Ehren und mit Dankbarkeit für ihre tapfere Opferbereitschaft und beten, dass kein neuer Krieg, keine neue Katastrophe unser Land in Zukunft verheeren möge. Es ist gut in einer solchen Stunde der Besinnung mit Ihnen zusammen sein zu dürfen.

Im Sinne dieser Kameradschaft zwischen vier Generationen möchte ich Ihnen meine guten Wünsche und meinen Dank für Ihren Dienst an Deutschland, Europa und dem Frieden in der Welt sagen.

Erstellt von: system letzte Änderung: Montag, 08. Dezember 2014 [16:32:14] von msalchow